24.09.2020 Tagebucheintrag

Jürgen Fliege, Grainau

Im Büro trudeln die letzten Anträge für die Stiftungsgelder für dieses Jahr ein. Viel Arbeit fürs Büro. Gegen Mittag türme ich. Termin in Grainau bei einer alten „Fliegezuschauerin“, die ich gar nicht kenne. Ihr Sohn hat ein Video über meine Rede in München gemacht. Und weil sein Video partout nicht über Whatsapp ging, hat er es bei Youtube für seine alte Mutter hochgeladen. Aber dann hat nicht nur die Mutter das Video geschaut, sondern weit über 100.000 andere auch. Die Rede ging viral. Aber dann muss der Sohn ertragen, was man heutzutage in der Öffentlichkeit offenbar immer mehr ertragen muss: Shitstorm! Die Kommentare der Zuschauer. Und die sind viel zu oft unterhalb eines jeden zivilisatorischen Niveaus. Als ich hörte, welchen Beschimpfungsmist man in sein Haus kippte, habe ich ihm als Ausgleich sozusagen versprochen, seine Mutter zu besuchen… und erlebe am Fuß der Zugspitze in einem hutzeligen denkmalgeschützten alten Bauerhaus eine alte Frau, die von ihrem Leben mit so vielen Wunden und Wundern rein und durchlässig gewaschen wurde, dass sie ihre Tage hellwach für alles, was im Himmel und auf Erden los ist, mitbekommt. Über Corona und „Maskenpflicht“ kann sie nur lachen. Weil kaum ein Kraut gegen Viren gewachsen ist, aber viele Kräuter für die Stärkung von Leib und Seele, führt sie mich durch den Kräutergarten und strahlt…
Und solche Frauen haben also jahrelang „Fliege“ geschaut! „Eher zufällig“, sagt sie. „Ich besuchte vor vielen Jahren meine Mutter, die hundert wurde, und die schaute immer ,Fliege‘. Die hat mich angesteckt.“