06.10.2019 Tagebucheintrag

Jürgen Fliege, Feldafing

Ich buche für morgen zweite Klasse Bahn München-Berlin und zurück. Ich habe mich entschlossen, mit den Mitstreiterinnen und Mitstreitern von Extinction Rebellion ein bisschen auf dem Potsdamer Platz in Berlin, also da, wo das neue künstliche Spenderherz der Stadt schlägt, den Verkehr zu blockieren. Wie wird das sein, nicht weg zu gehen, wenn die Polizei einen auffordert, den Platz zu räumen, einmal, zweimal, dreimal? Und wird es Wasserwerfer geben oder wie oder was? Ich gehe an den Kleiderschrank und suche wasserfeste Kleidung aus und stecke sie in den Rucksack. Man weiß ja nie.
Warum ich mitmache? Weil Luther ein Apfelbäumchen pflanzen würde, wenn die Welt bzw. die Zivilisation untergeht. Weil ich sehe, dass wir mit unserer Lebensart täglich, wöchentlich, monatlich, jährlich unsere Mitgeschöpfe ausrotten wie ein Geschmeiß auf unserer Haut. Weil wir Menschen nicht der Mittelpunkt des Universums sind. Weil wir jetzt, nachdem wir die Tiere und Pflanzen so ziemlich erledigt haben, am neuen Abgrund angekommen sind. Wir dachten, allen Scheiß in die Luft abgeben zu können, und nun sehen wir, dass sie ihn zurückgibt. In atemberaubendem Tempo. Und die Regierung sagt nichts und tut nichts. Das wird auch meine Forderung sein, sagt endlich Ja zu den Ergebnissen der Umweltforschung und wischt sie nicht vom Tisch. Und redet mit dem Volk statt es einzulullen wie einen großen dummen Lümmel. Ich weiß nicht, wie man die Welt regiert. Ich weiß nur, dass wir neu darüber nachdenken müssen, und zwar eher heute als morgen.