16.03.2016 Tagebucheintrag

La Palma

Die Insel ist ein ziemlich erloschener Vulkankrater. Aber die Schwingung, dass etwas aus der Tiefe nach oben will, begleitet mich immer wieder.

Jetzt weiß ich nicht mehr, welcher Tag es war. Ich weiß nur, dass es der Tag war, an dem Westerwelle starb. Nur wusste das zu der Zeit, als ich frühmorgens aufwachte, noch niemand. Ich dreh mich zu meiner Frau um und erzähle ihr, wenn es dann mal geht, meine Träume. Diese Nacht träumte ich von Westerwelle, beginne ich. Ich habe noch nie in meinem Leben von ihm geträumt. Gut, ich bin ihm in einer meiner Sendungen einmal persönlich begegnet und hatte seit den Tagen seine private Handynummer, die ich aber nie nutzte. Mehr war nicht. Und als Außenminister und Parteivorsitzender war er mir zu schrill und zu laut. Ich war wie alle Welt erschüttert, als ich von seiner Blutkrebserkrankung erfuhr. Vor einem knappen halben Jahr habe ich ihn dann bei der Vorstellung seines neuen Buches über seine Krebskrankheit im Fernsehen gesehen. Da hat er mir schwer imponiert. Aber sonst? Was habe ich mit Guido Westerwelle zu tun? Oder der mit mir? Ich erzähle also meiner Frau, dass in meinem Traum Guido Westerwelle stehend vor einem großen Eingang nicht weiter kam, weil da jemand an der Türschwelle, den ich aber nicht erkennen konnte, ihn abwies. Aber Westerwelle ließ sich nicht einfach abweisen. Er argumentierte, klug, herzlich, einfühlsam, gewinnend. Ich hörte jedes Wort. Denn im Traum lag ich quasi neben der Straße, auf der er stand, im Graben. Als er wider besserer Argumente dennoch nicht passieren durfte, drehte er sich um und ich hörte mich sagen: „Guido, das alles, was du da gesagt hast, deine Haltung, deine Wahrhaftigkeit und Herzlichkeit, das hat mich überzeugt. Ich möchte dein Freund sein!“ Er nahm mich nicht groß wahr und ging und ich schickte ihm noch sicherheitshalber den Gedanken hinterher, dass ich keine sexuellen Interessen hätte, sondern nur die eines Freundes, eines Bruders, eines Kameraden. Dann war der Traum zu ende.

Abends schauten wir die Tagesschau und ich fiel aus allen Wolken. Ich schaute meine Frau an. Und sie signalisierte wortlos ihre Erschütterung über seinen Tod und meinen Traum. Mein Westerwelle war gestorben. Wieder einmal mehr ein Erleben einer anderen Wirklichkeit bei mir, in mir, um mich, von der ich nicht weiß, wie sie funktioniert. Aber dass sie bei mir funktioniert.