17.09.2019 Tagebucheintrag

Jürgen Fliege, Leiden / Holland

Wir mieten uns Fahrräder. Was sonst! Unsere Tochter studiert hier. Mit ihr fahren wir abends zu einem total versifften Haus am Stadtrand mit Kuhglocke als Klingel, Parterre: linksalternative Kleiderkammer, erster Stock: antiautoritärer Kindergarten mit schwarzem Schäferhund auf durchgelegenen Sofas und ehemals bunten Stühlen in jeder Größenordnung. Hier bereiten wir also die Revolution des Planeten vor. Ziviler Ungehorsam will eingeübt sein. Die Leute von „Extinction Rebellion“ wissen das. Sie wissen, wie man in der klimapolitischen Debatte Druck macht, wenn man nicht mehr warten kann, weil keine Zeit ist. „Ziviler Ungehorsam“ à la Jesus, Gandhi oder Martin Luther King. Roger Hallam aus UK ist einer ihrer Köpfe. Die Kinderrevolution ist ja gut und schön als erster Schritt. Hier aber wird der zweite Schritt vorbereitet: massenhafte Sit-ins. Sand im Getriebe von Wirtschaft und Konsum. Verhaftungen en masse und wieder frei und wieder blockieren. Was ist schon dabei? Das überzeugt mich als Widder, der mit dem Kopf durch die Wand will. Der zivile Ungehorsam der streikenden Schüler ist ein guter Einstieg in die richtige Richtung. Ohne Verweigerung und Ungehorsam geht es nicht. FDP-Lindner und all die anderen, die den lieben Kinderchen raten, doch freitags zur Schule zu gehen wegen der Schulpflicht, haben nichts verstanden. Zu einer Demokratie gehört nicht nur die Abstimmung, sondern auch der Streik. Ohne Streikrecht keine Demokratie! Beharrlichkeit ist die einzige Macht der kleinen Leute. Lest die Geschichte von der bittenden Witwe im Neuen Testament. Lernt endlich von Jesus! Rembrandt und die schönste Stadt der Niederlande mit der ältesten Uni kommen heute etwas zu kurz. Aber auch die verdanken ihre Freiheit den Geusen, die die Dämme durchstachen und das ganze Land unter Wasser setzten, um Spanier zu vertreiben. Es liegt was in der Luft.