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05.11.2025 Newsmeldung

Ein Abschied, der keiner ist

Dr. Jürgen Thiesbonenkamp verlässt den Stiftungsrat, doch die Fliege Stiftung bleibt ihm nah

Im Stiftungsrat der Fliege Stiftung braucht es Mitgefühl – und zugleich die Kraft, Entscheidungen zu treffen. Wer dort mitarbeitet, steht immer wieder vor der schwierigen Frage, wem geholfen werden kann – und wem nicht. Dr. Jürgen Thiesbonenkamp hat diese Gratwanderung über viele Jahre gemeistert. „Die Abwägung zwischen den Einzelfällen war oft schmerzhaft“, sagt er rückblickend. Doch die Kriterien sind klar: Hilfe sollte stets nachhaltig wirken. „Eine Familie soll dadurch so gestärkt werden, dass sie wieder auf beiden Füßen steht.“
Nun wird es für die Stiftung selbst schmerzhaft. Bei der Sitzung des Stiftungsrates im Oktober 2025 am Starnberger See verabschiedete sich Thiesbonenkamp offiziell aus dem Gremium. Mit 77 Jahren möchte er kürzertreten, Zeit für seine Familie haben, und den wohlverdienten Rückzug antreten. Doch die Fliege Stiftung mag ihn noch nicht ganz gehen lassen. Denn wenn Entscheidungen anstehen, bringt jedes Ratsmitglied seine eigene Erfahrung und Haltung ein - und kaum jemand hat davon im Bereich Seelsorge so viel wie er. Thiesbonenkamp war Seemannspastor in Kamerun, elf Jahre Vorstandsvorsitzender der Kindernothilfe, Sprecher des Kuratoriums der Opferstiftung „Duisburg 24.7.2010“ und fast zwei Jahrzehnte Gemeindepfarrer. Kaum jemand versteht menschliche Notlagen so tief – und weiß zugleich, wie sich Wege aus ihnen finden lassen. „Ich habe immer wieder erlebt, wie Menschen unverschuldet in Not gerieten und wie das soziale Netz nicht alle auffangen konnte“, sagt er. „Die Fliege Stiftung will die Not eben dieser Menschen lindern.“ Deshalb steht er hinter ihr – und für sie.
Als der Duisburger über seine Zeit im Stiftungsrat spricht, liegt vor ihm eine Einladung zu einer Sitzung. Sie datiert auf das Jahr 2008. „Begann damals meine Zeit als Stiftungsrat?“, fragt er sich. Er weiß es nicht mehr genau. So lange schon engagiert er sich für die Stiftung, dass die Jahre ineinander übergehen. Unzählige Sitzungen, Entscheidungen und Gespräche liegen hinter ihm. Auch zwei grundlegende Neuausrichtungen der Stiftung, was die Art der Vergabe der Mittel angeht, hat er als stellvertretender Stiftungsratsvorsitzender mitentwickelt.
So jemanden lässt man nicht einfach ziehen. Wie seinen Amtsantritt wird Thiesbonenkamp daher wohl auch seinen Abschied nicht mit einem bestimmten Datum verbinden können. Er weiß, wie man Geld im Sinne der Stiftung in die richtigen Hände legt – und Stiftungsgründer Jürgen Fliege weiß, dass er sich auf ihn verlassen kann. Die beiden Pfarrer kennen sich seit ihrem Theologiestudium in Tübingen; seit 1970 verbindet sie Freundschaft und Vertrauen.
Die Stiftung überträgt ihm daher eine besondere Aufgabe: In den kommenden drei Jahren steht er weiterhin im engen Austausch mit der Stiftung. Dabei kann er ihren Blick auf Notfälle lenken, die Trost und Hilfe brauchen können. Für Thiesbonenkamp bedeutet das Verantwortung. „Die Stiftung verteilt keine Almosen“, sagt er. „Die Beträge sind hoch und umso wichtiger ist es, dass sie die Richtigen erreichen.“
Die Stiftung füllt nur jene Lücken, die durch staatliche oder soziale Hilfen nicht abgedeckt sind. Oft brauchen Menschen in Not zunächst Unterstützung dabei, sich durch einen Dschungel der Anträge und Zuständigkeiten zu kämpfen. Sie brauchen Mut und Begleitung, um berechtigte Hilfeleistungen einzufordern. „Die Kraft zum Durchhalten ist in großer Not oft nicht mehr gegeben“, sagt Thiesbonenkamp. Da ist er dann gefragt.
Die gute Botschaft lautet: Dir wird geholfen. Der Fliege Stiftung geht es nie um kurzfristige Finanzspritzen, sondern um echte Stärkung. Sie will nicht vertrösten sondern befähigen. „Wir schauen gemeinsam, was Dir helfen kann, Dein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen“, beschreibt Thiesbonenkamp den Ansatz.
Auch die neuen Kuratoriumsmitglieder, die seit einem Jahr im Namen der Stiftung Trost und Hilfe spenden, kennen bereits das Dilemma schwieriger Entscheidungen. Bei seinem letzten Treffen am Starnberger See hörte Thiesbonenkamp ihnen aufmerksam zu, gab Ratschläge, teilte Erfahrungen – und fand Worte, die bleiben.
Er wünscht sich, dass die Mitglieder des Kuratoriums – aktuell vier Geistliche – in zwei Jahren ihre Nachfolger ebenso inspirieren, wie er sie, und der Stiftung ebenso treu erhalten bleiben. „Ein Schneeballeffekt wäre schön“, sagt er. „Es soll ein Gebilde entstehen, dass die Stiftung trägt.“ Dadurch, dass er im Sinne der Fliege Stiftung weiterhin die Augen offenhält, kann er vielleicht nicht nur Notleidenden Trost spenden, sondern auch den neuen Mitgliedern zeigen, wie Hoffnung und Zuversicht weitergegeben werden: behutsam, bedacht – und mit offenem Herzen.

von Viktoria Weber