18.07.2019 Tagebucheintrag

Jürgen Fliege, Feldafing

Der Brief hat keinen schwarzen Rand. Wie nebenbei liegt er zwischen den anderen Briefen. Als ich ihn öffne und den Namen auf der Todesanzeige lese, bin ich dennoch gefasst. Ingrid! Ein Friedhof wächst eben um jedes Haus. Er wächst auch um das meine! Er birgt jahrein, er birgt jahraus mehr Freunde und zwar meine. Den Totenbrief habe ich lange erwartet. Und wie das so ist, kündigt er sich dem Lauschenden schon vorher an. Gestern Abend im TV sprach einer mit ostpreußischem Dialekt und ich dachte an Ingrid und wie es ihr wohl geht. Heute bekam ich Nachricht von ihrem Tod.
Wenn ich eines Tages dahin komme, was wir kindlich den Himmel nennen, werden wir vielleicht allen Wesen begegnen, die an unserem Lebensweg gestanden haben wie Engel, um uns zu begleiten und zu trösten und Beistand zu sein. Das ist das Engelhafte in uns, nach dem wir uns alle sehnen: beizustehen und beigestanden zu werden.
Ingrid stand wie ein Fels neben mir als wieder mal ein großer Sturm mich aus dem Pfarramt in Essen fegen wollte. Ich werde sie als Engel sofort wiedererkennen.