09.05.2019 Tagebucheintrag

Jürgen Fliege, Feldafing

Am Abend meiner Heimkehr nach Deutschland kümmere ich mich noch um die Post. Ich lese wieder einmal den neusten Brief der alten Dame aus den Niederlanden, eine treue Stifterin. Es ist eine Treue zu mir, die ist so groß, dass ich sie oft kaum in mein kleineres Herz nehmen kann. Aber alle paar Wochen schreibt sie mir. Jetzt kommen die Briefe aus dem Pflegeheim und sie werden mal für mal dunkler, auswegloser, verzweifelter, resignierter. Was soll ich tun? Kann ich etwas tun? Kann ich etwas ändern? Ja, kann ich! Ab jetzt werde ich ihre Briefe mehrfach lesen. Denn sie schreibt mir ja nicht um Hilfe zu erbitten. Sie schreibt um wahrgenommen zu werden. Gesehen zu werden! Das ist es doch, was uns Würde verleiht: Angesehen werden, Ansehen, Würde! Ich bin vielleicht der Einzige, der ihr noch zuhört und so ein Halt ist. Ja, das will ich tun.